Mittwoch, 4. Februar 2009

premierenkritik "erdbeerfelder für immer"

ich denke der kommentar zeigt auch in etwa wie es wirklich gestern zur vorstellung war...

Wenn es nach der heutigen Premiere und der Reaktion des Publikums gehen würde, dann wäre "Erdbeerfelder für immer" das Stück der Saison. Gut, von 24 Premieren habe ich diese Spielzeit neun gesehen, eine leider wegen Krankheit verpasst, aber alle anderen habe ich in der Zeitung verfolgt, die sich nirgendwo derart überschlagen hat, dass ich mir das Stück während der aktuellen Saison hätte ansehen wollen. Die Reaktion auf das heutige Stück kann durchaus als sensationell bezeichnet werden. Doch der Reihe nach.

Schauplatz des Stückes ist das Deutsche Musikarchiv (was übrigens tatsächlich in Berlin existiert). Hier stempelt man sich sein Leben schön, alles im Gleichtakt und unter den gestrengen Augen des emeritierten Professors Dr. Quentmeier. Hin und wieder wird deutsches Liedgut intoniert, es geht von Nena bis zu Herbert Grönemeyer. Wenn der nahezu blinde Dr. Quentmeier jedoch den Raum verlässt, brechen bei den einzelnen Angestellten die Emotionen durch. Den Anfang macht Frau Bemmstein, deren Namen Quentmeier immer wieder bei der Überprüfung der Anwesenheit vergisst. Mit "Let's have a party" singt und schreit sie sich frei und steckt nach und nach alle anderen an. Der übergewichtige Herr Potzek, der heimlich Süßigkeiten verschlingt, befreit sich mit "Born to be wild", während der verklemmte Herr Löhmann sein wahres Ich mit den Sex Pistols und "Anarchy in the UK" durchscheinen lässt. Chaos im Musikarchiv! Nach Rock'n'Roll folgen die Drogen, am Ende der Sex, immer wieder unterbrochen durch Quentmeiers Auftreten, der zwar nichts sieht, aber trotzdem noch hören kann. Das Volkslied "In unserem Garten" wird geschickt mit Schlagertexten vermischt, um am Ende bei Wir sind Helden und Falco zu landen. Doch all die Anarchie endet, da ungewohnt, tragisch. In Anlehnung an Goldings "Herr der Fliegen" geschieht im Rausch ein Mord, der stilgerecht mit "Creep" von Radiohead verarbeitet wird. Die Ernüchterung bricht Dr. Quentmeier, der mit Cat Stevens "If you want to sing out, sing out" anstimmt. Ein bitter nachschmeckendes Happy End.

Es folgten vielleicht 20 Minuten frenetischer Applaus, Getrampel, Pfiffe, Bravo-Rufe. Immer wieder mussten die Schauspieler auf die Bühne kommen und gaben am Ende zwei Zugaben in Form von Titeln, die im Stück gesungen wurden. Und sie warfen Süßigkeiten ins Publikum und konnten am Ende einfach nicht mehr, sonst würden wir wahrscheinlich immer noch sitzen und applaudieren. Gut, das Licht ging auch irgendwann an, was aber niemand daran gehindert hat, weiterzuklatschen.
Gleichzeitig muss man auch sagen, dass bestimmt zehn Zuschauer das Stück vorzeitig verließen. Über Gründe kann spekuliert werden, doch denke ich, dass diese Zuschauer einfach etwas vollkommen anderes erwartet hatten. Sie wollten ein Theaterstück mit fester Handlung, in der vielleicht ein paar Lieder eingespielt oder angesungen werden, aber nicht das, was die anderen Premierengäste zu lautem und langem Jubel veranlasste. Das Stück bestand zu 97% aus Titeln, die von den Schauspielern gesungen wurden. Zu Beginn handelte es sich dabei um deutsche Schlager-, Rock- und Poptitel, die die Handlungen auf der Bühne entweder unterstrichen oder ironisch präsentierten, so singen z.B. alle Beamten offensichtlich von ihrer Arbeit angeödet "Schön ist es auf der Welt zu sein". Die stimmliche Leistung der Schauspieler ist dabei exzellent, auch im mehrstimmigen Gesang. Ich möchte nicht wissen, wie lange dafür geprobt werden musste. Später werden die Titel dann zunehmen Englisch, was für die zweite kleine Welle dann der Anlass war, nach Hause zu gehen. Denn auch diese Titel spiegeln mit ihrem Text den Inhalt des Stückes oder unterlaufen ihn - wer Englisch kann, ist hier klar im Vorteil. Gerade bei den englischen Stücken die im Gegensatz zu den deutschen, die meist in Medleys vorkamen, ganz gesungen wurden, gab es Szenenapplaus. Immer und immer wieder. So was habe ich bei noch keiner Aufführung erlebt.
Es war ein wunderbarer Abend, sehr lustig, unterhaltsam, musikalisch und am Ende durch die Gesamtbegeisterung bei Publikum und den Schauspielern, die von der Reaktion des Publikums überwältigt waren, auch ein wenig euphorisch. Das letzte Stück der Saison - ein würdiger, krönender Abschluss.

Montag, 2. Februar 2009

team-theaterbesuch



erdbeerfelder für immer
erik gedeon

a really funny evening with singing germans

schauspielhaus dresden
Dienstag, 3.2.2009; 19.30 Uhr





Deutsche Ämter sind Schauplätze überschäumender Lebensfreude. Das ist bekannt. Darum hat der Regisseur Erik Gedeon nach seinem gefeierten Dresdner »Ewig jung«-Songdrama, das im Altenheim spielt, nun eine Behörde als Ort des Geschehens gewählt: Das deutsche Liederarchiv. Hier wird verwaltet, was den deutschen Geist ausmacht: Schubert und Brahms, Freddy Quinn und Peter Alexander, Nena und Nicole. Über die Rein- und Deutschhaltung der Kladden, Karteikästen und Aktenschränke wacht der emeritierte Professor Quentmeier, unterstützt von Angestellten in Faltenröcken, Pullundern und Ärmelschonern. Behutsam begleitet vom Archivorganisten, intonieren sie in den Kaffeepausen Kostbarkeiten aus deutschem Liedgut.

Doch in Wahrheit hat die Belegschaft wilde Träume: Ein »Highway to Hell« tut sich auf. Sex and Drugs and Rock’n’Roll sind angesagt. Jerry Lee Lewis, Elvis, Iggy und Mick. Revolution, Anarchie und Zerstörung drohen im deutschen Musikkanon ...

Spieldauer 1 Stunde 50 Minuten (keine Pause)